19. April 2024

Verwendung von Resten in Lingerie und Garderobe

Nicht so rasch, wie die Reste unter dem Szepter des Kochlöffels, werden diejenigen im Reiche der Lingerie und Garderobe verwendet. Sie lassen sich, ohne Schaden zu nehmen, wochen- und monatelang aufbewahren. Die nun folgenden Tipps stammen aus einem Preisausschreiben – veranstaltet von einer Frauenzeitschrift im Jahre 1903.

In vielen sparsamen Familien begnügt man sich mit der einfachen Aufbewahrung. Da ist kein Fädchen, kein Wollbäuschchen, kein Schnur-Ende, kein altes Papier, das nicht aufbewahrt wird, „da man es doch einmal brauchen könnte“.

So füllen sich nach und nach Schubladen und Schränke, Koffern und Kisten mit allen möglichen Dingen, und Sache der praktischen Hausfrau ist es, diese Schatzkammern alljährlich einmal zu revidieren. Aus verschiedenen Gründen ist da der September die gelegenste Zeit: Die Sommerhitze ist vorüber, der Winter naht mit langsamem aber sicherm Schritt; er wird uns mehr an die Wohnung fesseln und uns Zeit zum „Arbeiten“ geben. Die Revision aber zeigt uns, was noch nützlich sich verwenden läßt und was als unbrauchbar entfernt werden muß, hilft uns so in letzter Instanz, die Wohnung gemütlicher und heimeliger zu gestalten.

Welche Frau, und wäre sie die fleißigste von der Welt, wird behaupten können, daß sie vom dunkelsten Kellerwinkel bis zur hintersten Estrichlucke jeden Gegenstand in seinem gegenwärtigen Zustande genau kenne? Eine allgemeine Revision bietet manche Ueberraschung und führt manches unverhoffte Wiedersehen mit Gegenständen herbei, an welche wir nicht einmal im Traume mehr gedacht haben. Jetzt gilt es, die „Spreu vom Korn“ zu sondern und dasjenige, das nur Platz versperrt, ohne praktischen Nutzen zu gewähren, sonder Gnade und Erbarmen zu beseitigen. Machen wir also einmal mitsammen große allgemeine Musterung.

Wir beginnen bei den Flickschubladen. Alle alten kleinen Stoffreste, die zu längst verbrauchten Kleidern gehören, die rangieren wir kaltblütig aus. Die dunkelfarbigen größeren Resten von leichtem Wollstoff schneiden wir in gleich breite Streifen, nähen davon je die ähnlichen zusammen und rollen sie sodann auf. Sie geben für einfache Haus- und Kinderkleider, wie für ältere Unterröcke praktische und billige „Blegi“, Kinderstößli und Besatz. Aehnlich verwerten wir baumwollene Stoffe als Kleiderstöße für Waschkleider. Nun nehmen wir die Stoffresten, noch vorhandener Kleider hervor. Sie werden gut sortiert, in Herren-, Damen- und Kindergarderobe geordnet, praktisch zusammengelegt, in alte Leinwand oder Zeltungspapier gewickelt, zugebunden und mit Aufschriften (Herrenkleider, Damenstoffe, Kindergarderobe) versehen. So nehmen sie dann viel weniger Platz in Anspruch, als wenn sie plan- und regellos durcheinander in der Schublade liegen, ersparen manches fieberhafte „Suchen“ und damit Zeit. Aehnlich werden dann die Flickreste der Leib- und Bettwäsche geordnet.

Eine zweite Schublade birgt unter anderm kleine bunte Seidenreste, die zu mannigfaltiger Verwendung locken. Wenige Zeit erfordert die Herstellung von Nadelkissen und kleinen Beuteln für den Arbeitstisch, welche gesondert die verschiedenen Utensilien, wie Knöpfe, Haften, Oesen und drgl. aufnehmen. Ebenso lassen sie sich zum Ausfüttern kleiner Täschchen und Körbchen verwenden, wie auch als Besatz von Halsbändchen u. drgl.

Größere Cretonne-Reste von heller Farbe geben Kinderschlüttli, dunklere dienen uns zur Bekleidung einer Schuhkiste. Eine größere passende Kiste schlagen wir inwendig mit einem äl-teren Wachstuche aus. Eine Seitenwand dient dann als Boden, die andere als Decke, der Kistenboden wird zur Rückwand und der Deckel als Einsatz zurechtgeschnitten und eingefügt. Ein Vorhang aus Cretonne entzieht den Inhalt – Schuhe und Schuhputzzeug – den Blicken. Kleinere Cretonne-Reste legen wir zurück, um in den kommenden Tagen Bett-, Bürsten- und Staubtuchtaschen zu verfertigen, und die kleinen und kleinsten Reste, die schenken wir dem kleinen Puppenmütterchen.

Ein umfangreicher Koffer birgt in einem schier unergründlichen Innern ein wahres Chaos der allerverschiedensten Dinge. Da liegen Spitzen- und Bandreste, alte Spitzen- und Tüllschleier, Hutblumen- und Federn, Reste von Strick- und Häkelgarn einträchtig unter der Oberherrlichkeit etlicher alter Filz- und Strohhüte. Da werden wir ziemlich erbarmungslos vorgehen. Sind die Hüte so schlecht, daß sie nicht mehr getragen werden können, so sind sie als Almosen auch zu schlecht; aus den einen Badepantoffeln, aus andern Lampenteller herzustellen, lohnt sich unter heutigen Verhältnissen nicht, darum ruhig fort mit ihnen. Kleine Wollreste geben wir dem kleinen Gretchen zu Strick- und Stickübungen. Größere lassen sich an den langen November- und Dezemberabenden beim Plauderstündchen prächtig zu kleinen Strümpfchen und Pulswärmern, zu Handschuhen und Halstüchern für arme Kinder, sowie zu praktischen Einlagen in Schuhe, zu Fußwärmern oder zu Poliertüchern und Eierhütchen etc. für den Haushalt verarbeiten. Hat man ein ordentliches Quantum kleiner Wollreste, so lassen sich davon sehr schöne und warme Fußdecken fürs Kinderschlafzimmer und Vorlagen vor das Stehpult des Hausherrn herstellen. Sehr hübsch wird ein solcher Teppich, wenn man die Wollreste, nach der Farbe geordnet, in 10 cm lange Faden schneidet, mit starker Baumwolle dann auf einem genügend breiten Anschlage mit langen Stahl- oder Holznadeln rechts abstrickt. Bei der zweiten Nadel wird je bei der 2., 4., 6., 8. Masche ein Wollfaden derart eingestrickt, daß die beiden Enden auf die rechte Seite zu liegen kommen. Die dritte Nadel wird (wie alle ungeraden) rechts abgestrickt. Bei der 4. Nadel werden die Wollfaden in die 3., 5., 7., 9. Masche eingestrickt, bei der 6. Nadel wieder in die 4. etc. Besonders hübsch wird die Decke, wenn die verschiedenen Farben in schöner Abstufung geordnet werden, so z. B. die äußeren 4 Seiten schwarz, nach der Mitte dann braun, dunlelrot, hochrot, hellrot, grau sich folgen oder Kontrast- und Ergänzungsfarben gewählt werden. Die fertige Decke, mit Watteneinlagen und starkem Futterstoff gefüttert, wird ausgekämmt, daß die Fäden in der Mitte sich strahlenförmig nach den 4 Seiten ausbreiten.

Aehnlich kann man Tuch-Enden, Reste von verbrauchten Herrenkleidern und Flanell in Streifen schneiden und zu Fußdecken verwenden. Die Streifen werden jedoch nur 5 cm lang und 1/2-2/3 cm breit geschnitten. Die Decken werden besonders schön, wenn man zu grauen und schwarzen Resten blaue oder rote Streifen nehmen kann. Diese Teppiche werden weit schwerer und fangen auch den Staub etwas mehr auf, als die oben beschriebenen Wollteppiche. Für alltäglichen Gebrauch, namentlich für tan-^nene Fußböden, möchte ich aus dem letztern Grund eher die zusammengenähten Teppiche und Bettvorlagen empfehlen, wobei man die Stoffresten in kleine, regelmäßie Vierecke, Achtecke etc. schneidet und sie mit Zierstich zusammennäht. Es lassen sich so prächtig wirkende Muster herstellen.

Alle alten verblichenen Bandreste, zerdrückte Hutblumen, „löcherige“ Hutschleier und zerknitterte billige Spitzen werfen wir lieber fort, als die vergangene Zier, den wertlosen Tand unsern weiblichen Dienstboten zu schenken. Gute Spitzen und Bänder werden aufgefrischt und schön zusammengelegt. Schwarze Spitzen werden in Salmiaklösung gewaschen durch Aufguß von Pfeffermünzthee, Schwarzen Kaffee oder Bier gezogen und halbfeucht geglättet. Bänder werden in Panamawasser gereinigt, in alte Leinwand eingeschlagen und auf der linken Seite mit heißem Eisen rasch „überfahren“, und zur Garnitur von Werktagshüten und Kinderhüten und Hauben verbraucht.

Die Finger alter Glacehandschuhe geben praktische „Däumlinge“ für etwaig verwundete Finger bei Groß und Klein. Das übrige kann man zu Streifen schneiden und diese mit einer Packnadel an einer dünnen Packschnur rosettenartig auffassen. So bekommt man einen praktischen Fenster- und Spiegelputzer, der fast nichts kostet und doch ein teures Hirschleder ersetzt. Die Schäfte defekter Seidenhandschuhe geben Beutel für Spielmarken, Schachfiguren und drgl. Alten Wollhandschuhen schneiden wir bei Gelegenheit die zerrissenen Fingerspitzen ab, säumen die Ränder sauber ein und können die Handschuhe den Winter über beim Staubwischen im kalten Schlafzimmer, bei abendlichen Besorgungen mit dem Muff u. a. Gelegenheiten noch tragen. Schubladen und Koffern sind nun geordnet; ein ordentlicher Korb ist mit Dingen gefüllt, die als wertlos fort müssen, ein anderer birgt all die vielen Sachen, die diesen Winter verarbeitet werden sollen und diese ordnen wir schön ein. Ein Tagewerk ist vollbracht und befriedigt überblicken wir dasselbe.

 

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